Innovation, Gründungskultur und Start-Ups in Deutschland

Deutschland belegte im vergangenen Jahr Platz 9 im Global Innovation Index [1], einem renommierten Innovationsbericht. Das kommt vor allem durch viele, jährlich angemeldete Patente, wissenschaftliche Artikel, dem Entwurf wettbewerbsfähiger Technologien, sowie der Bereitstellung kreativer Produkte und Dienstleistungen. Bei den Rahmenbedingungen für die Gründung neuer Unternehmen liegt es dagegen weit hinten, auf Platz 88 [ebd.]. Wie kommt das?

Die Mentalität, die hinter der deutschen Innovationskraft steht, ist eine, die es bevorzugt, bestehende Produkte und Dienstleistungen eher inkrementell und planbar zu verbessern, statt große Risiken in unvorhersehbaren Märkten zu suchen. Deutschland hat sich auf diese Weise einen großen Wohlstand aufgebaut, muss aber nun achtgeben, sich nicht darauf auszuruhen, da es sonst im Internationalen Wettbewerb zurückgeworfen werden könnte. Der heutige Markt ist geprägt von immer kürzeren Produktlebenszeiten und rasanten Marktkapitalisierungen, besonders im digitalen Bereich. Um auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ist die deutsche Wirtschaft deshalb auf neue Ideen, Marktakteure und unternehmerische Modelle angewiesen. Start-ups vereinen diese Eigenschaften. Sie agieren als eine Art „schöpferischer Zerstörer” (nach Schumpeter [2]), der aus einem routinierten System ausbricht, es ins taumeln bringt, bestehende Strukturen auflöst und ein neues Gleichgewicht schafft. Sie betreiben meist eine „radikale Innovation”, indem sie neue Märkte erschließen oder neuartige Leistungen anbieten, was stets mit großem Risiko verbunden ist. Um als Nation oder als Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich zu sein, bedarf es eines Gleichgewichts an inkrementeller und radikaler Innovation. Start-ups schaffen dies meist durch den „Lean Start-up” Ansatz, wobei Produkte und Serviceleistungen iterativ gebaut, getestet und verbessert oder beispielsweise durch Big-Data-Analysen angereichert werden, um die Bedürfnisse bestimmter Zielgruppen zu erfassen.

Im Forschungsformat der Start-up Clinics des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft versuchen wir zu erforschen, welche Faktoren den Erfolg junger Unternehmen beeinflussen und nutzen unsere Erkenntnisse um Gründer beim Aufbau von Geschäftsmodellen, ihrer Finanzierung, ihres Marketings und vielem mehr, zu beraten. In einer Literaturstudie von 2016 [3] ist es uns gelungen zwölf Kernfaktoren einer erfolgreichen Unternehmensgründung festzustellen. Besonders wichtig ist demnach, dass die Gründer motiviert, beruflich erfahren, engagiert und gut vernetzt sind. Auch Marketing, Vertriebskooperationen und technische Ressourcen haben einen großen Einfluss auf den Gründungserfolg. Erfolgshindernd ist, dass Gründer oft Schwierigkeiten haben, ihr Geschäftsmodell präzise zu definieren. Hinzu kommen die ungünstigen, vom Global Innovation Index angedeuteten Kontextfaktoren Deutschlands, wie, zum Beispiel, intransparente Bürokratie, strenge Datenschutzgesetze, hohe Steuern, kaum Schutz von Investoren, sowie ein Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften.

Berlin, der Sitz des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft, hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Netzwerkknoten von Start-ups entwickelt. Die Start-up Community der Stadt ist gut vernetzt, die Standortkosten sind vergleichsweise gering, es gibt viele, gut ausgebildete Fachkräfte (besonders im digitalen Bereich) und sie erfährt die Aufmerksamkeit vieler ausländischer Investoren (darunter Earlybird, Atlantic Ventures, Point Nine Capital und Partech Ventures). Fast ein Drittel aller deutschen Start-ups haben ihren Ursprung in der Hauptstadt. Dadurch, dass auch etablierte Unternehmen zuziehen, entstehen Innovationszentren, wie Inkubatoren und Acceleratoren, die (meist technische) Start-ups in ihren frühen Gründungsphasen mit Geld, einem Netzwerk an Investoren und mit intensivem Coaching unterstützen. Im Austausch erhalten sie dafür meist Unternehmensanteile zwischen sechs und zehn Prozent. Auch Gründer von Unternehmen, die es nicht über das Acceleratorenprogramm hinaus schaffen, profitieren von neu geknüpften Kontakten und gewonnener Erfahrung. Die wichtigsten Inkubatoren und Acceleratoren Berlins waren in den vergangenen Jahren und existieren teils noch: Axel Springer Plug and Play, Hub:raum – Deutsche Telekom,  Lufthansa Innovation Hub, Factory Berlin. Auch hiesige Universitäten, wie beispielsweise die Humboldt Universität (Humboldt-Innovation), die Freie Universität (profund) sowie die Hochschule für Technik und Wirtschaft (Start-up Kompetenzzentrum) und auch die Universität der Künste (EXIST Gründerstipendium) haben solche Ausgründungszentren bzw. Gründerberatungen. Im Gegensatz zu öffentlichen Förderprogrammen, besteht bei Innovationszentren von Unternehmen das Risiko, dass eine Geschäftsidee an Radikalität und Neuheit verliert, je weiter sie in bestehende Strukturen eingegliedert wird und letztendlich nur eine inkrementelle Verbesserung eines bestehenden Produktes geschieht.

Deutschland hat im Internationalen Vergleich, was radikale Innovationsbereitschaft und Entrepreneurship betrifft, noch einiges aufzuholen. Es bedarf öffentlicher Initiativen, die dafür sorgen, dass Ökosysteme und Netzwerke rund um die Start-up Kultur nicht nur von Privaten Investoren aufgebaut werden, sodass auch junge Unternehmen gefördert werden können, deren Ideen sonst Schwierigkeiten hätten Unterstützer zu finden. Beispiele für bereits laufende, öffentliche Initiativen, sind das EXIST-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, die oben genannten universitären Ausgründungszentren, aber auch neu eingerichtete Lehrstühle zum Thema Entrepreneurship und das StartCenter der Handwerkskammer und der IHK Berlin.  Ich bin durchaus zuversichtlich, dass Deutschland über die nächsten Jahre mehr radikale Innovationsbereitschaft zeigt und somit ein immer attraktiverer Standort für Unternehmensgründungen wird, der über Berlin hinaus geht.

 

Dieser Text basiert auf einem Artikel, den Nancy Richter und ich 2016 in der APuZ veröffentlichten. Darin finden Sie weitere Hintergrundinformationen und Handlungsempfehlungen. Lesen können Sie ihn auf der Webseite der Zeitschrift.

 

Ihr Thomas Schildhauer.

 

 

 

Referenzen

[1] Cornell University, INSEAD, and WIPO (2017): The Global Innovation Index 2017: Innovation Feeding the World, Ithaca, Fontainebleau, and Geneva.

[2] Schumpeter, J. A., & Opie, R. (1961). The theory of economic development: an inquiry into profits, capital, credit, interest, and the business cycle. Oxford University Press.

[3] Richter, N., Volquartz, L., Schildhauer, T., & Neumann, K. (2016). Fostering and Hindering Factors—Success of Early Stage Internet-Enabled Startups.